Meine Reise im Ausland ist vor allem auch eine Reise zu mir selbst und eine Reise in meine innere Welt. Eine ganz besondere Erfahrung habe ich im Westen Kanadas gemacht, als ich zu einer Vollmond Zeremonie eingeladen wurde.
Eingeladen wurde ich von einer Freundin mit indigenen Wurzeln. Eine Frau, die zu beschreiben, äußert schwierig ist. So muss sich vermutlich auch der Pilot in Saint-Exupérys Erzählung gefühlt haben, als er versuchte der Leserschaft den kleinen Prinzen zu beschreiben.
Eine Frau, welche Freiheit mit all ihren Sinnen lebt, in ihrem Erscheinungsbild und ihrem gesamten Lebensmodell. Eine dieser Frauen, die mit ihrer bloßen Anwesenheit den Raum einnehmen, stark und unabhängig mit einer besonderen Verbindung zur Natur und zu dem Land und der Erde ihrer Vorfahren.
Zugegeben im ersten Moment war ich etwas zögerlich als ich die Einladung zur Mondschein-Zeremonie erhielt, aber die Anweisungen waren relativ simpel. Lediglich ein Stift, ein Blatt Papier und ein organischer Gegenstand wie ein Stein oder ein Stück Holz sollten mitgebracht werden.
Die Zeremonie ist ausschließlich für Frauen. Eine Zeremonie, um sich selbst zu ehren, andere Frauen zu ehren und unsere spezielle Beziehung zu unserer Schwester, dem Mond. Die Zeremonie soll Gelegenheit geben uns mehr mit dem Rhythmus von Mutter Natur zu verbinden und die Kraft des göttlichen Weiblichen zum Vorschein zu bringen.
Da sitzen wir also nun alle in einem Kreis, an einem verlassenen Strand in Kanada. Im Mondschein. Neben uns der Fluss. Die Landschaft scheint fast wie aus einem Märchen entsprungen. Unwirklich und so voller Schönheit, dass man sich kaum zu atmen traut.
Acht Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Aus unterschiedlichen Ländern und verschiedenen Altersgruppen. Mit eigenen Lebenswegen, Schicksalen, Träumen und Wünschen und doch alle gemeinsam zur gleichen Zeit an diesem so speziellen Ort.
Zu Beginn wird Salbei entzündet. Das Verbrennen von Salbei soll die Luft von schädlichen Bakterien oder negativen Energien reinigen. Der Duft ist markant und hat etwas Ursprüngliches, etwas Befreiendes.
Die Zeremonie ist simpel. Es gibt unterschiedliche Fragen zu denen reflektiert wird, Jede geht in sich und notiert ihre Erkenntnisse auf dem Blatt Papier. Im Anschluss kann jede Teilnehmerin etwas von dem teilen, was sie aufgeschrieben hat, sofern sie das möchte.
Bei der ersten Frage kann man die Unsicherheit untereinander regelrecht spüren. Will ich wirklich meine tiefsten Gedanken und Gefühle hier preisgeben? Was ist, wenn meine Antwort unpassend ist? Was, wenn ich dann in einem anderen Licht gesehen werde? Was, wenn ich beurteilt oder schlimmer, sogar verurteilt werde?
Dann wird die erste Antworte in der Runde geteilt, ehrlich und authentisch. Und der Bann ist gebrochen.
Man kann spüren, wie sich die Energie wandelt und sich ein unsichtbarer, sicherer Raum auftut, dort inmitten der kanadischen Dunkelheit, am Rande des Nirgendwo.
Und was sich zeigt – egal bei welcher Frage, die Antworten ähneln sich. Zwar im Detail sehr unterschiedlich, aber die zugrundeliegenden Gedanken und Ängste sind immer dieselben.
Da ist zum Beispiel die Angst nicht gut genug zu sein. Die Angst nicht allen Anforderungen gerecht zu werden. Anforderungen, die einem die Gesellschaft auferlegt hat, aber auch vor allem Anforderungen, die man sich selbst auferlegt hat. Da ist die Tendenz sich zu überfordern, immer mehr leisten und erreichen zu wollen. Keine Zeit für den Augenblick zu haben.
Atmen? Zeitverschwendung.
Da ist ein Gefangen sein im Alltag, gefesselt von all den Informationen und Aufgaben, die täglich auf uns einprasseln. Ein Verloren sein in einer Welt die, obwohl mehr Technologie und Networking als je zuvor zur Verfügung stehen, mehr Einsamkeit denn je bereithält.
Und während wir reflektieren, in uns gehen, unsere Wünsche und Ängste teilen, wandert unsere Schwester Mond langsam über den Himmel und schiebt sich hinter den Baumwipfeln hervor. Der Fluss in goldenes Licht getaucht. Es ist fast taghell, so kräftig schimmert der Mond über das Tal hinweg.
Erleichterung und Dankbarkeit umgeben die Gruppe. Als letzten Schritt legt jede Teilnehmerin noch eine Sache fest, die sie an diesem besonderen Abend loslassen möchte. Etwas woran man schon lange festhält, etwas das möglicherweise den Verstand und den Geist benebelt, einen nicht sich selbst sein lässt. Und dann werfen wir symbolisch unsere Steine, Wurzeln oder Stöcke in den Fluss und schauen zu wie sie im Mondschein im Fluss versinken und mit ihnen hoffentlich unsere persönlichen Schatten, die wir loszulassen versuchen.
Der Durchschnittsmensch fühlt sich allein mit seinen oder ihren Ängsten, Sorgen und Gefühlen. Man denkt andere Leute beschäftigt so etwas nicht, weil im Normalfall keiner darüber redet.
Als Psychologin ermutige ich meine Klienten und Klientinnen immer dazu offen zu teilen. Ich erkläre ihnen, dass der offene Austausch mit einer Erleichterung einhergeht. Diesen Rat zu geben und ihn selbst zu leben, sind aber zwei komplett verschiedene Dinge.
Im Mondschein in Kanada wurde mir wirklich klar, wie ähnlich wir uns doch alle sind und was für eine Macht diese Gemeinsamkeit mit sich bringt. Wir sind nie allein mit all unseren Ängsten und Zweifeln. Und wenn wir uns entschließen zu teilen, dann gehen wir stärker daraus hervor und können umso heller scheinen in unserem Leben, genau wie der Vollmond in dieser speziellen Nacht im Westen Kanadas.